14.04.2012
Leib und Leben retten
Gerüste, Fangnetze und Gurte bei der Solarmontage unverzichtbarAuch wenn es Mehrarbeit bedeuten sollte: wer auf dem Bau Sicherheit hintenanstellt, spielt leichtfertig mit dem eigenen Leben beziehungsweise mit dem anderer Personen. Gerade in einer jungen Branche wie der Photovoltaik wird die Arbeitssicherheit bisweilen recht stiefmütterlich behandelt.
„Alle Dachunfälle in Deutschland im Jahr 2010 umfassten laut Unfallversicherung der Bauwirtschaft 3047 Fälle. 1036 davon sind Abstürze, 21 endeten tödlich“, schildert Hermann Steinweg vom Zentralreferat „Grundsatzfragen der Prävention“ der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) in Dortmund. Unter den Unfällen dürfte es vermehrt auch „Solarunfälle“ gegeben haben. Die Zahlen für 2011 lagen bis Redaktionsschluss noch nicht vor, dürften aber kaum positiver ausfallen. Und da die BG Bau nur die eigenen Fälle listet, die etwa aus dem Dachdeckerhandwerk gemeldet werden, dürfte die Gesamtbilanz noch weit höher liegen.
Bekanntlich montiert PV-Anlagen ja gerade das Elektrohandwerk – und für dieses ist die Berufsgenossenschaft Energie, Textil, Elektro und Medienerzeugnisse (BG ETEM) zuständig. Auch dort gibt es keine detaillierten Zahlen über Unfälle bei der Installation: „Die Daten sind weder beim Zentralverband des Elektrohandwerks noch bei anderen Verbänden statistisch exakt erfasst“, weiß Peter Sasse, technischer Aufsichtsbeamter im Präventionszentrum der BG ETEM in Köln.
„Aus den Unfallberichten ergibt sich der Eindruck, dass die Abstürze im Zusammenhang mit PV-Anlagen zugenommen haben“, bestätigt Hermann Steinweg von der BG Bau. Peter Sasse beunruhigt insbesondere die Zunahme der schweren Unfälle in den letzten Jahren. Abstürze mit bleibenden Körperschäden bis hin zur Querschnittslähmung häuften sich. Was für die Angehörigen viel menschliches Leid mit sich bringt, bedeutet für die Berufsgenossenschaften auch eine Kostenbelastung. Durch die Zunahme der schweren Schäden ist die Gefahrenklasse für das Elektrohandwerk nun angehoben worden, was höhere Beiträge für die Mitgliedsbetriebe mit sich bringt. Nach Einschätzung von Sasse sind dafür die PV-Unfälle zumindest mitverantwortlich.
Dachabsturz als größte Gefahr
Auf Baustellen drohen bekanntlich überall Gefahrenquellen: Aber am gefährlichsten ist nach wie vor das Dach. Ein falscher Tritt genügt, und man ist von der Kante gefallen oder durch Öffnungen ins Gebäudeinnere gestürzt. Gerade letztere, die sogenannten „Durchsturzunfälle“, sind eine besonders tückische Variante dieser Art von Arbeitsunfällen: Sie passieren bei Gebäuden mit profilierten Lichtbändern in Well- und Trapezdächern. Oft sind die Lichtluken aufgrund von Verschmutzung nicht vom umliegenden Dach zu unterscheiden und weisen eine noch geringere Tragfähigkeit als das Dach selbst auf.
Von so einem Fall weiß auch Norbert Behr, Schulungsleiter des Fachgroßhändlers Energiebau Solarstromsysteme GmbH aus Köln, zu berichten. Ein Kursteilnehmer erzählte ihm von einem Spediteur, welcher, um eine Unterschrift zu erhalten, zu den Installateuren auf das Gebäudedach kletterte. Auf dem Welleternit-Dach übersah er eine Lichtplatte, trat darauf und stürzte nach unten. „Zu seinem großen Glück wurde er von einem Fangnetz aufgefangen, das vorschriftsgemäß unter dem Hallendach angebracht war“.
Die Berufsgenossenschaften schreiben derartige Fangnetze bei durchbruchfähigen Dachelementen vor. Spezialfirmen montieren die Vorrichtungen und achten auf eine ausreichende Befestigung. Genauso ist beim Aufstellen von Gerüsten eine besondere Sorgfalt geboten. Die Ausführung durch Gerüstbau-Fachbetriebe sei wichtig, betont Gerhard Steber, der Geschäftsführer des PV-Fachbetriebes Öko-Haus GmbH aus Eppishausen im Unterallgäu. „Manche legen die Fangnetze nur so über die Geländer, ohne sie richtig zu befestigen. Fällt einer hinein, rutscht das Netz vom Gitter und die Person stürzt ab“. Um zu ermitteln, welche Schutzmaßnahmen vorzunehmen sind, muss die Baustelle vor Montagebeginn begutachtet werden. Diese sogenannte Gefährdungsbeurteilung ist besonders wichtig. „Meist ist hierfür ein Installateur in leitender Funktion zuständig.
Grundsätzlich haben sogenannte kollektive Sicherungsmaßnahmen wie Absperrungen, Seitenschutz, trittsichere Abdeckungen von Dachöffnungen sowie Fangnetze oder -gerüste Vorrang vor persönlichen Schutzausrüstungen. Nur wenn der kollektive Schutz aus technischen Gründen nicht realisierbar ist, dürfen persönliche Auffanggurte eingesetzt werden. Dann jedoch müssen geeignete Anschlagspunkte zur Befestigung vorhanden sein und die Gesamtzeit aller Arbeiten auf dem Dach darf keine zwei Personentage überschreiten.
Je nach Tätigkeit müssen die Installateure zudem Helme, Sicherheitsschuhe, -brillen und andere Schutzvorrichtungen tragen. Wichtig zur Gefahrenvermeidung im Betrieb ist außerdem die gesetzlich vorgeschriebene, einmal jährlich stattfindende Sicherheitsunterweisung der Installateure, die in Form von Vorträgen und Referaten alle wesentlichen Punkte rund um die Sicherheit behandelt.
EEG-Stichtage erhöhen Unfallrisiko
Michael Schäfer, der Geschäftsführer der Energiebau Solarstromsysteme in Köln berichtet, dass das Thema Montagesicherheit sehr ernst genommen werde: „Unsere Branche hat sich professionalisiert, die Einhaltung der berufsgenossenschaftlichen Vorschriften ist ein Mindeststandard für Qualitätsbetriebe.“ Man habe viele der Vorschriften in die eigenen Montageanleitungen aufgenommen.
Von der Bundespolitik allerdings wünscht sich der Firmenchef eine Entlastung durch eine verstetigte Förderung: „Die Anzahl der Installationen ist nicht nur saisonal, sondern auch durch Stichtage im EEG geprägt. Vor einer geplanten Absenkung der Einspeisevergütung ist die Nachfrage enorm, die Montage eine Akkordarbeit.“ Der so aufgebaute Termindruck erhöhe die Fehlerwahrscheinlichkeit. Schäfer fordert daher: „Der Gesetzgeber muss hier für eine Entzerrung der Nachfrage sorgen.“
Schulungsprogramme der Hersteller
Auch für Öko-Haus Geschäftsführer Gerhard Steber steht die Sicherheit seiner Mitarbeiter an erster Stelle. Seine Firma besaß bis Ende 2011 fünf Jahre lang das Zertifikat „Zertifizierter Installateur“ von BP Solar – ein Kennzeichen für die Einhaltung von Sicherheitsstandards bei der Montage von PV-Anlagen, das es seit Januar 2012 aufgrund der Geschäftsaufgabe von BP Solar nicht mehr gibt.
Stebers Firma ist auch Mitglied des Premiumpartnerprogramms von Schott Solar, das ähnlich wie das BP-Zertifikat einen Schwerpunkt auf die Sicherheit bei der Montage legt, Schulungen anbietet und die Qualität einmal jährlich überprüft. Die Weiterbildungen umfassen meist eineinhalb Tage und werden flexibel am Installationsbetrieb oder beim Großhändler durchgeführt. Um Premiumpartner zu werden, wird im Betrieb ein eintägiges Audit durchgeführt. In den letzten fünf Jahren haben bei Schott Solar so über 5000 Handwerker und Großhändler an solchen Veranstaltungen teilgenommen.
Auch wenn die Zertifikate den ohnehin gesetzlich vorgeschriebenen Anforderungen entsprechen, haben sie dazu geführt, das Sicherheitsbewusstsein in den Unternehmen der PV-Branche zu stärken. Öko-Haus Geschäftsführer Gerhard Steber gibt jedoch auch zu bedenken, dass sich durch Investitionen in Sicherheitsschulungen die Montagekosten erhöhen: „Schwarze Schafe können hier günstigere Angebote machen, weil sie Kosten für teure Gerüste und Fangnetze einsparen, damit aber die Gesundheit und das Leben ihrer Mitarbeiter gefährden.“
Schulungen werden auch von der Berufsgenossenschaft Bau (BG Bau), der Berufsgenossenschaft Energie, Textil, Elektro und Medienerzeugnisse (BG ETEM) oder dem TÜV Rheinland angeboten. Auch die Weiterbildung zum Solarteur bietet die Möglichkeit, sich auf dem Gebiet Sicherheit zu qualifizieren. Denn dort ist das Thema Absturzsicherungen auf Dächern als Ausbildungsrichtlinie enthalten.
Inzwischen existieren sogar zielgruppenspezifisch aufbereitete Schulungen für Installateure oder Geschäftsführer. Das wachsende Angebot macht deutlich, wie wichtig das Thema Arbeitssicherheit innerhalb der PV-Branche geworden ist. Viele Betriebe nehmen regelmäßig an Sicherheitsschulungen teil. Dies verbessert die Situation für die Beschäftigten, hat aber auch für die Geschäftsführung einen nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt: „Schließlich ist es auch eine Entlastung für den Chef, wenn er weiß, dass draußen bei den Projekten alles sicher ist“, bringt es Ökohaus-Chef Steber auf den Punkt.
Martin Frey, Fachjournalist für Erneuerbare Energien, Mainz, www.agenturfrey.de
Quelle: RE-Online
Link: http://www.re-online.info/artikel/ep_Leib_und_Leben_retten_1408818.html